Von Tag zu Tag

Die Aufzeichnungen "Von Tag zu Tag" erscheinen als Erstausgabe zum 85. Geburtstag von Hans Dieter Schäfer. Auch wenn sie weitgehend der Chronologie folgen, liegt kein spontan geschriebenes Tagebuch vor, sondern eine Komposition von Gedanken zur Lage sowie Alltagsbeobachtungen, in die sich Rückblicke und Notizen von Träumen mischen.

Das großformatige Pappband (26,5 x 20,1 cm, 64 Seiten) wurde fadengeheftet; die ersten zweihundert Exemplare sind vom Autor signiert.

Das druckfrische Buch kostet 21 Euro und ist im Buchhandel oder über den Verlag sofort lieferbar.

 

Leseprobe

Das Aufzeichnen am Computer gleicht dem Spielen mit einem Tasteninstrument, denn das Anklicken von »Laut vorlesen« erzeugt eine Art Musik, die beruhigt und gleichzeitig aufmerksam für die Suche nach fehlerhaften Tönen macht. Die Voraussetzung dafür schuf eine Erziehung mit Regeln, in der Bücher als Angebot für die Flucht aus der Enge bereitstanden – der Mangel in meiner Kindheit ist ein Glück für das Alter, denn über Einschränkungen im Alltag hilft das Schreiben hinweg. Den ersten PC kaufte ich vor fast fünfundzwanzig Jahren, die Zahl der dort gespeicherten Empfänger meiner Briefe hat sich auf ein Minimum reduziert, obwohl die meisten Angeschriebenen noch am Leben sind.
Fast jeden Tag gehe ich bei meiner Runde an einer Telefonzelle vorbei, vollgestopft mit Gedrucktem zum Verschenken – heute kam in meine Hand Martin Andersen Nexös Roman »Morten der Rote«, ein Abschiedspräsent für einen Kameraden der Volksarmee. Auf das Vorsatzblatt hatte jemand ein Gedicht geklebt und mit dem Stift rot umrandet, die letzte Strophe lautet:


Denk mal an uns,
Und tuts auch noch weh
An Deine Genossen
In der LENIN-ALLEE.

Die Kaserne lag vermutlich in Ost-Berlin. Die Straße, wo sich der Schlachthof des VEB Fleischkombinats befand, heißt heute Landsberger Allee. Außerdem schlug ich »Mariza. Das Buch für Dich« auf. »Blue Jeans sollten Mädchen nur dann tragen, wenn sie auf dem Weg zum Sportplatz sind«, riet der Text neben der Aufnahme von zwei Teenagern mit Kunststofftaschen von KLM. Zwischen beiden Veröffentlichungen aus den sechziger Jahren lagen Welten – sie tun sich noch immer schwer, zusammenzuwachsen, eins aber sind die Menschen in der Abkehr von Büchern geworden. Die Telefonzelle aus Kunststoff mit abgerundeten Kanten und Scheiben scheint für das Verschwinden der Schreib- und Lesekultur von grotesker Symbolik, denn sie ist ein Ort, wo niemand eine Münze einwirft, den Hörer abnimmt und spricht.

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